Das kleine Mimöschen

Blog - Mimöschen - Heilpraxis körperorientierte Craniosacrale Therapie, Traumatherapie, Psychotherapie & Coachings - Marion Welz - Heilpraktikerin Berlin Pankow-Reinickendorf

Das kleine Mimöschen – ein Märchen

Es einmal vor langer langer Zeit eine junge Frau und ihr Ehemann. Dieser Mann wurde einst als kleine Mimose geboren. In seiner Kindheit war dies gar nicht erwünscht. Er wurde deswegen viel gescholten und häufig ausgelacht.
Deshalb versteckte er seine Empfindsamkeit hinter einer rauen Schale. Sein Mimosensein hatte er tief in sich verborgen.
Die Familie lebte mitten in einer großen Stadt. Voller Vorfreude warteten sie auf ihr zweites Baby. Auf ihren Gesichtern breitete sich ein Lächeln aus, wann immer sie an das Kleine im Bauch dachten. Sie hatten schon ganz genaue Vorstellungen, wie es einmal werden sollte.
Noch genoss das Kleine im Bauch seiner Mutter das schön gedämpfte Licht, leise Töne, weiches warmes Wasser, das die Haut ganz zart streichelte, sanftes Schaukeln und regelmäßiges Essen. Hier war es einfach wunderschön und sicher.
Als das Kleine geboren war, schienen die Eltern überglücklich. Ihr Töchterlein war fröhlich, gesund und lernte schnell. Sie waren sehr zufrieden mit ihr.

Als die Kleine allmählich heranwuchs, beschlich den jungen Vater eine unerklärliche Unruhe. Er ein fleißiger und verlässlicher Mann, der ja vergessen hatte, dass er eigentlich eine Mimose war. So tapfer hatte er allen und sich selber vorgemacht, er sei eine robuste Diestel, dass er sich ganz sicher war, seine Kinder würden genauso unkompliziert werden, wie er dachte zu sein.
Nun jedoch schienen seine schlimmsten Befürchtungen wahr zu werden. Der besorgte Vater sah, dass seine süße Kleine ein echtes Mimöschen war.
Kopfschüttelnd lief er auf und ab. Er wusste nicht ein noch aus. Das durfte doch nicht sein. Was konnte er nur tun? Er stand vor einer echten Herausforderung – er würde sich ihr stellen.
So stellte sich allmählich wieder Zuversicht bei ihm ein. Er würde seiner Kleinen genau seine Mechanismen beibringen, die doch bei ihm so gut halfen. Niemand würde ihre Empfindsamkeit je bemerken.

Im Laufe der Zeit lernte das kleine Mimöschen, wie „man“ richtig war. Es freute sich nicht mehr gar so laut, hielt sich bei Blaulichtautos nicht mehr die Ohren zu, gab Fremden problemlos die Hand zur Begrüßung und wusste, dass niemand merken durfte, wenn sie Angst hatte. Sie lernte, dass man nach zwei Stunden noch gar nicht wieder Hunger haben kann, sie für Tränen keinen Grund hat und viel weitere wichtige Sachen.
Das kleine Mimöschen war lernwillig und motiviert, immer das Richtige zu tun. Wie gut, dass Papa genau wusste, was richtig war.
Trotz aller Bemühungen ihrerseits hörte sie immer wieder erboste Ausrufe ihres Vaters: „Da bist du aber wieder sensibel“ und „Hab dich nicht so“. Beides war scheinbar richtig schlimm. Sie spürte seine Enttäuschung.
O.k. Das kleine Mimöschen wollte auf gar keinen Fall sensibel sein und sich auch nicht mehr so haben.
Es machte sich auf den Weg herauszufinden, was „So“ eigentlich war.
Die kleine Mimose war klug. Schnell bekam sie raus, dass empfindsam, sensibel, sanft – „So“ waren. Auch weinen gehörte dazu. Aus den Worten ihrer Eltern entnahm sie, wie anstrengend sie sei. Sie hörte häufig „Übertreib doch nicht so“. Alles gehörte auf die „So-Liste“. Sie wollte nie wieder anstrengend oder kompliziert sein und sich nicht mehr „So“ haben.

Deshalb beschloss sie, einfach keine empfindsame Mimose mehr zu sein. Papa sollte sie doch liebhaben und stolz auf sie sein.
Also beobachtete sie andere ganz genau.
Die Kleine war fasziniert von den wehrhaften zähen Disteln. Manchmal war sie neidisch auf die robusten Brennnesseln und bewunderte Glockenblumen, Thymian und Mauerpfeffer, die nicht nur schön, sondern sogar trittfest wahren und um die sich niemand kümmern musste. So unkompliziert und pflegeleicht wollte sie auch werden. Von nun an eiferte sie ihnen täglich nach.
In ihrer Kindheit erlernte sie weiter Tapferkeit. Sie brauchte wenig Trost, ihre aufgeschürften Knie taten gar nicht mehr so weh, Pullover kratzten nicht mehr – kein Jammern kam über ihre Lippen.
In Gedanken legte sie sich die Dornen der Disteln zu, die Brennhaare der Brennnesseln wurden ihr Schutz. Niemand würde ihr mehr zu Nahe kommen.
Sie wurde ein nettes Mädchen, das in Gegenwart ihrer Eltern nur noch leise lachte, keine Angst hatte, unkompliziert war und nicht jammerte.

Irgendwann hatte das kleine Mimöschen vergessen, wer und wie sie eigentlich war. Die Eltern waren sehr zufrieden.
So wuchs sie heran, wurde eine tapfere junge Frau und lernte einen freundlichen jungen Mann kennen.
Und auch sie bekamen zwei wundervolle Kinder, über die sie sich sehr freuten. Ohne dass sie es bemerkte, war sie als Mama „So“. Sie war weich und sensibel, sanft, mitfühlend und sehr verliebt in ihre Kleinen. Sie lachten laut und viel miteinander.
Ihre Kinder durften sich „So“ haben. Für sie gab es ganz weiche Pullover, wer Hunger hatte, bekam Essen. Wenn wegen aufgeschürfter Knie Tränen rollten, bekamen sie Trost und bei Angst Schutz. Und es gab sehr viele Kuscheleinheiten. Ihre Kleinen durften sein, wie sie sind – sie waren genau richtig. Nichts musste an ihnen verändert werden. Wie schön!
Gemeinsam mit dem liebevollen Vater waren sie eine glückliche Familie.

Doch es zogen dunkle Wolken heran und verdunkelten die Sonne.
Die junge Mutter wurde krank. Fast wäre in Vergessenheit geraten, dass sie keine robuste Brennnessel war und auch keine unverwüstliche Distel.
Tapfer sein und lächeln – so wie sie es gelernt hatte, perfektionierte sie sich in den nächsten Jahren noch mehr.
Niemand merkte mehr, dass sie nicht ganz gesund geworden war. Zu den Kleinen war sie herzlich und liebevoll – zu sich streng und hart. Auch als Erwachsene wollte sie sich nicht „So“ haben. 

Nach vielen Jahren, ihre Kinder wuchsen heran, kamen erste Vorahnungen. Sie träumte, sie sei eine kleine Mimose. Was für ein absurder Traum! Ein Glück, dass er nicht wahr ist.
Sie übte sich weiter in Freundlichkeit zu anderen, in Robustheit und auch in ihrer Paradedisziplin, der Unkompliziertheit.
Ihr Papa beobachtete dies mit großem Stolz und Erleichterung.

Weiter Jahre vergingen – ihr beiden Kinder waren schon fast erwachsen, da fiel es ihr immer schwerer, all die Erwartungen anderer zu erfüllen.
Es wurde immer anstrengender, die zu sein, die sie glaubte, sein zu müssen. Ihre Kraft war zu Ende. Sie konnte zwar noch tapfer lächeln, so zu tun als sei sie robust und unkompliziert, gelang ihr immer weniger.
Und dann kam der Tag, an dem sie ganz erschrocken feststellte, dass sie sich immer mehr, wie eine kleine Mimose fühlte.
Immer häufiger traf sie auf Menschen und Orte, auf Tiere und andere Pflanzen, die auch „So“ waren und bemerkte, wie schön und liebenswert sie deshalb waren, anziehend, einfach zum Wohlfühlen.
Heimlich – nur ab und zu – fing sie auch an, „So“ zu sein. Erstmal nur allein im Morgenlicht auf ihrer Lieblingsinsel, in der Stille ihrer geliebten Natur, barfuß im Sand. Sie wurde weich und genoss die Schönheit, die Vollkommenheit, das Verbunden Sein und ja – auch die Liebe, die sie dort empfand.
Anfangs schämte sie sich ganz schrecklich, aber zum Glück sah es ja niemand.
Immer häufiger fragte sie sich, was ist denn so schlimm am „So“ sein?
Sie mochte es bei anderen, war sehr gern mit denen zusammen, die sich ehrlich und verletzlich zeigten, las Bücher, in denen über Sensibilität und vieles mehr geschrieben wurde, las von Tieren, Pflanzen und Mensch, die empfindsam waren – von Mimosen eben, die sich damit sogar zeigten.
Es las sich schön. Es fühlte sich irgendwie befreiend an.
War sie etwa selber eine Mimose?
Noch hatte sie große Angst davor. Sie traute sich noch nicht.
Es erschien ihr unsinnig: „Bei anderen empfinde ich es als ehrlich und liebenswert, bei mir soll es falsch sein, verboten und peinlich? Da kann doch was nicht stimmen.“
Sie merkte, dass wie eine Mimose sein, durchaus schön war. Sie erfreute sich so viel mehr an der Natur im ersten Morgenlicht, liebte die Vögel und Blümchen, die Bäume, Wiesen und Schmetterlinge so viel intensiver. Weiche Decken empfand sie so viel weicher, zarte Düfte, Gewürze, Farben und Musik konnte sie so viel mehr genießen. Früher sagten ihre Eltern dann „Übertreib doch nicht so!“. War das etwa auch „So“? Es war doch so schön!
Noch schämte sie sich ein klein wenig dafür.
Doch kurze Zeit später fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: „Ich bin doch gar keine Brennnessel. Ich war doch früher das kleine Mimöschen!“ Und ihr wurde klar: „Ich bin das kleine Mimöschen!“.

Ja, ich bin eine Mimose.
Ja, ich verschließe mich schnell.
Beim leisesten Geräusch, beim kleinsten Windhauch erschrecke ich mich.
Ja, ich bin kompliziert und das darf so sein. Ich darf so sein.
Viele Anziehsachen kratzen auf meiner Haut – ich brauche es besonders weich.
Mir ist vieles zu laut, zu schnell, zu grell, zu warm, zu kalt, zu viel oder zu voll.
Ja, manchmal habe ich Angst.
Und ja – ich weine, sogar wenn etwas besonders schön ist.
Wie schön ist es doch, „So“ sein zu dürfen, „So“ zu sein. Ich muss nicht mehr tapfer tun.
Meine Gefühle sind wie Schmetterlinge – anmutig, sanft, zart, verletzlich, wunderschön und gleichzeitig auch schnell zu erschrecken.
Wie wunderschön ist es – nicht mehr anders sein zu müssen – sich nicht mehr verstellen zu müssen.

Mimosen sind übrigens äußerst interessante Pflanzen mit sehr feinen Sinnen, verzaubern mit einem farbenprächtigen Blütenmeer, verströmen warmen Duft und sind vielseitige Heilpflanzen. Trotz ihrer scheinbaren Zerbrechlichkeit können Mimosen auf schwierigem Gelände wachsen. Dies war der kleinen Mimose nun bewusst.

Inzwischen ist ihre Tochter, die auch eine Mimose ist, zu einer wunderschönen und sehr einfühlsamen jungen Frau herangewachsen. Diese junge Frau, die ebenfalls schon ein lebensfrohes und liebenswertes Mimosen-Kindchen hat, freut sich nun mit ihrer kleinen Familie auf ihr zweites Baby. Und so wachsen immer weitere Generationen von kleinen empfindsamen Mimosen heran, duften, blühen und werden geliebt, genau so wie sie sind. Und so leben sie glücklich und zufrieden mit allen anderen Pflanzen und miteinander.

Ein Mimöschen, was mit Namen unbekannt bleiben möchte

4 Kommentare
  1. Agnita
    Agnita sagte:

    Liebe Mimose,
    hier schreibt die geborene Distel, die sich an keine andere Daseinsform erinnert. Alles im Leben ruft mir zu: sei eine Distel! Sei widerspenstig! Bleib unnahbar! Schrei dein ‚Nein!‘ in die Welt! … Und jetzt: mit nicht mehr übersehbaren silbernen Schleiern ums Haupt sehnt ich mich nach anderen Verhaltensmustern. Ich möchte mich anschmiegen können an sensiblen Mimosen, zarte Gänseblümchen und verwandlungsfähigen Löwenzähnen. Doch ich bin, was ich bin: eine stolze Distel, die ihre Diestelsamen – wie Generationen vor und hoffentlich auch nach ihr – auf dem Boden verteilt.
    Manchmal setzt sich ein freches Vögelchen auf meine kräftigen Blätter und auch manches mutige Kind hat bereits die Hand nach mir ausgestreckt, nicht um mich zu brechen, sondern einfach um zu fühlen. So übe ich mich in Vertrauen und Zuversicht, denn ich bin, was ich bin. Und ich rufe dir zu:
    Sei was du bist! … und gemeinsam sind wir ein Teil der Vielfalt dieses wahrscheinlich einmaligen Planeten. Wir finden die stimmigen Partner und sind tolerante Nachbarn.
    Komm gut über den Winter, Frau Mimose … die Silberdistel

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    • Marion Welz
      Marion Welz sagte:

      Liebe Silberdistel,

      in mir steigt eine Freude auf, dass sich Mimose und Siberdistel begegnen. Und auch hinter der Silberdistel nehme ich etwas ganz zartes wahr, was sich hinter diesem Dasein beschützt fühlt.

      Alles Liebe,
      Marion

      Antworten
  2. Doro
    Doro sagte:

    Liebes Mimöschen,
    nachdem ich heute einen lichtvollen Morgenspaziergang unternommen hatte und beim Kaffee in meiner Küche saß, las ich diese wirklich schöne, mir nahegehende Geschichte. Ich habe sie genossen und auch ein paar Tränchen vergossen. Da stecken Erkenntnisse drin! Ich bin berührt und fühle mich der Familie der Mimosen oft zugehörig. Danke für deine Beschreibungen.

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