Auf der Suche nach dem ICH
Auf der Suche nach dem eigenen ICH
Wenn du das Gefühl hast, du bist ein Nichts, dann kann dieses Gefühl auch genau das beschreiben, was ist. Du hast dich in der frühen Kindheit vielleicht infolge eines Entwicklungs- und Bindungstraumas nicht ‚ent-wickelt‘ (vgl. auch Hochsensibilität & Trauma). Du bist vielleicht in deiner bockig-trotzigen Phase steckengeblieben, weil es seinerzeit kein Raum für Entwicklung gab. Das Ausleben und ausagieren dieser Wut hätte dich möglicherweise in deinem Leben gefährdet, was auch immer der Grund dafür gewesen sein mag. So hast du gelernt, dass es sicherer ist, diese für dich zu behalten, um weiterhin zum Familiensystem zu gehören oder auch Liebe & Aufmerksamkeit zu bekommen.
Fortan versuchst du ohne diese wunderbare Kraft durch die Welt zu kommen. Von klein auf hältst du diese Kraft in dir zurück, die für jeden Entwicklungsschritt total wichtig ist. Du nimmst die Wut in dir gar nicht mehr wahr und wenn du an einen Punkt kommst, wo du sie sinnvoll einsetzten könntest, dann kannst du es nicht, weil du es ja nie erlernen durftest. Etwas im Außen hat dir ganz klar zu verstehen gegeben, dass dass jetzt nicht geht. Es reicht!
So wunderst du dich vielleicht, dass du dich im späteren Leben nicht abgrenzen kannst, nicht für dich einstehen magst, kein klares NEIN für dich formulieren kannst und andere sogar über dich und deine Bedürfnisse hinweggehen. Gesellschaftlich hingegen geht das total in Ordnung, da Wut & Aggressionen in unserer ‚entwickelten‘ Welt gar nicht gesellschaftsfähig sind.
Die Wut ist allerdings der Motor für unserer ganze Entwicklung. Wenn ein Kind nicht wütend ist, dann wird es nie laufen lernen. Es ist eine innere Kraft, die uns in Bewegung – uns ins ‚laufen‘ bringt. Sie ist in unserer Welt eine unterschätzte Kraft, die zum Mensch-Sein einfach dazu gehört.
Wenn du dich in früher Kindheit nun nicht in deinen Gefühlen ausagieren konntest, diese vielleicht sogar abgespalten hast, da es unaushaltbar für diesen kleinen Körper gewesen wäre, diese zu spüren, lebtest du fortan in einem Körper, der nur als Hülle zu dir gehört. Auch zur Entwicklung deines ICHs ist es vielleicht nicht gekommen und du suchst fortan dein ganzes Leben lang danach. Du bist immer auf der Suche nach dem Unbekanntem – deinem Selbst.
Auf dem Weg zum Ich
Die persönliche Entwicklung läuft als Prozess ab, zeigt sich in Stufen. Nach der Geburt ist der Säugling noch völlig eins mit der Mutter. Dann macht er Erfahrungen, in dem das eigene Verhalten durch die Bezugsperson gespiegelt wird. Er lernt immer mehr, sich selbst zu empfinden. Ab ca. 2 Monaten erlebt das Kind, dass sein Körper etwas Eigenes, von der Mutter Getrenntes ist und entwickelt mit der Zeit eine Vorstellung von sich selbst. In den weiteren Monaten erwacht mehr und mehr die eigene Entfaltung. Es merkt, dass es zunehmend etwas bewirken und selbst machen kann. Mit etwa dem 2. Lebensjahr entwickelt das Kind seinen eigenen Willen und erfährt Grenzen. Es erkennt sich erstmals im Spiegel: Das bin ich! Das ist eine einzigartige Erfahrung:
- es erlebt, dass es einen Willen hat und sich zwischen verschiedenen Möglichkeiten entscheiden kann
- es macht Dinge selbst, auch wenn es noch Unterstützung bedarf
- es braucht Lob & Anerkennung, um zu lernen, aber auch Grenzen & Strukturen zur Orientierung
- das Kind braucht Ermutigung, aber auch klare Regeln und ein entschiedenes Nein
Wenn die Entwicklung in diesem Prozess unterbrochen wurde, dann sind gewisse Erfahrungen nicht gemacht.
Irgendwann einmal erkennst du dies vielleicht für dich, weil du gut begleitet in einer Therapie wurdest oder auch selbst dahinter gekommen bist. Dann bist du vielleicht sogar schon alt und schaust auf dein (un)gel(i)ebtes Leben zurück, in dem du vorrangig ‚funktioniert‘ und dich dein ganzes Leben lang an deiner Außenwelt orientiert und angepasst hast. Du konntest ja nicht anders, weil DU dich nicht ent-wickeln konntest und aufgrund einer in irgendeiner Form traumatischen Erfahrung ‚stecken‘ geblieben bist. Jetzt stellst du vielleicht in der Mitte deines Lebens fest, dass das der Grund gewesen sein könnte, warum du immer unzufrieden und irgendwie auf der Suche warst. Du bist vielleicht gerannt, immer mit der Nase und Ausrichtung nach vorne, dem Unbekannten hinterher, was dir vielleicht irgendwann eine Antwort präsentiert.
Wenn du das vielleicht auch für dich feststellst, dann ist die große Frage: Und nun? Was mache ich daraus jetzt?
Es gibt die Möglichkeit, das früher versäumte nachzuholen. Sein inneres, kindliches System ‚nachreifen‘ zu lassen. Zunächst einmal ist es wichtig, sich auch in all seinen Kind-anteilen zu erkennen. Hierbei kann die Innere Kind-Arbeit helfen. Welche Anteile in mir haben sich nicht so entwickelt, wo bin ich in meinem Anteil ’stecken’ geblieben (z. B. wenn ich Wut gar nicht für mich wahrnehme oder immer über diese Phase hinweggehe und gleich in der Traurigkeit, Ohnmacht oder Resignation verfalle). Wenn wir hier Erfahrungen sammeln können, dann sollte das Mitgefühl dein ständige Begleitung sein. Das wir mit uns mitfühlen, dass wir uns gar nicht anders verhalten konnten, weil wir es ja nie ausprobieren durften, warum auch immer. Oft sind wir dann bestrebt, uns selbst mit der Keule noch eine zu verpassen, weil wir plötzlich enorm wütend mit uns selbst werden können. Jetzt hast du es schon wieder so und so gemacht, hast nichts gesagt, hast dich nicht gewehrt und diese wunderbare Kraft, die sich da vielleicht in dir aufbaut, richtest du schlimmstenfalls gegen dich selbst. Du wirst ärgerlich und ungeduldig mit dir, maßregelst dich, ja, gehst vielleicht sogar in die Selbstverletzung, um dich und deinen Körper wieder zu spüren.
Und hier ist eindeutig Schluss! Stop! Hör auf damit, dich selbst verantwortlich zu machen und dich selbst zu sabotieren. Ich weiß, du kennst dieses Muster nur zu gut und es ist natürlich ärgerlich, wenn das so ist. Aber überleg doch mal: hat dir deine bisherige Strategie weitergeholfen? Fühlst du dich heute in der Situation besser als damals als 3jähriges Kind? Nein.
Wenn Du immer wieder das tust, was Du immer schon getan hast, dann wirst Du immer wieder das bekommen, was Du immer schon bekommen hast. Wenn Du etwas anderes haben willst, musst Du etwas anderes tun! Und wenn das was Du tust, Dich nicht weiterbringt, dann tu etwas völlig Anderes, statt mehr vom gleichen Falschen!
(Paul Watzlawick)
Werde eindeutig und spreche ein klares STOP aus. Unterbreche deine Muster und versuche es auf eine andere, heilsamere Art & Weise. Schaue, ob du in die Gefühle von Mitgefühl und Selbstliebe kommen kannst und wenn nicht, baue dir diese Ressourcen (auch gerne mit Hilfe) auf. Manchmal sind diese Gefühle noch nicht gereift oder stecken noch im Himmel fest und warten auf (d)einen Ruf, um auf die Erde zu kommen, wie es mal jemand formulierte. Begleite dein inneres Kind freundlich und zugewandt und gib ihm den Raum und die Zeit für Entwicklung. Denn das ist genau das, was damals nicht zur Verfügung stand. Reife nach in deinem Prozess, sammele neue Erfahrungen und lerne, dass Wut nicht gleich Wut ist, Liebe nicht gleich Liebe, Kontakt nicht gleich Kontakt.
Lerne die Unterschiede, es ist nicht absolut und wenn du das langsam erfahren und erleben darfst, dann ‚reifst‘ du nach. Dieses Nachreifen ist sicher kein Prozess von Wochen & Monaten, es braucht eher Jahre, aber was ich sagen möchte ist, es lohnt sich. Denn so kannst du irgendwann deine Suche aufgeben und deinem ICH Schritt für Schritt, Erfahrung um Erfahrung näher kommen. Du darfst dich finden und musst nicht mehr im DU gucken. Du darfst ganz bei dir sein und deine Geschenke, die sich daraus entwickelt haben, langsam ent-decken!
Mit beschenkten Grüßen
Marion Welz
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